Wer mit Thomas Hasler auf Facebook befreundet ist, bekommt mehrmals in der Woche Einblicke in seinen Alltag: Fotos von Zelten, in denen obdachlose Indigene leben, von Essenslieferungen, aber auch fröhlichen Festen. Der gebürtige Ostschweizer lebt in Ciudad del Este, mit 300 000 Einwohnerinnen und Einwohner die zweitgrösste Stadt Paraguays. «Das Hauptproblem der indigenen Völker Paraguays ist die Landabsicherung», so Thomas Hasler gegenüber dem Pfarreiforum, «Alto Paraná war früher mit dichtem Wald bedeckt. Die rote Erde ist sehr fruchtbar und deshalb ist das Interesse an diesen Grundstücken sehr gross. Dies wird wohl auch in den nächsten Jahren zu Auseinandersetzungen führen. Viele der indigenen Menschen, die ich im Gefängnis besuche, sind aus diesem Grund verurteilt.»
Den Mächtigen ausgeliefert
Ursprünglich war Paraguay besiedelt von den Guarani. Die Halbnomaden lebten vom Jagen und Fischen sowie dem Sammeln von Früchten und Wurzeln. Heute gibt es in Paraguay nur noch etwa 20 000 Guarani. Sojafarmer und Viehzüchter bemächtigen sich illegal des indigenen Landes, holzen Wälder ab, verunreinigen die Böden mit Pestiziden. Auch der Klimawandel, grössere Bauvorhaben und das Entstehen riesiger Monokulturen setzen die Indigene Bevölkerung unter Druck. Viele Guarani sind arbeitslos, weil ihre traditionellen Fähigkeiten nicht gebraucht werden, viele Mädchen und Frauen werden Opfer von Menschenhandel oder sexueller Ausbeutung.
Ohne Identitätskarte
Trotz Herausforderungen konnte Thomas Hasler einiges in Bewegung setzen. Er nennt ein Beispiel: «Viele Guaranies hatten keine Identitätskarte, ohne diese ist kein Zugang zur Schulbildung möglich. Auch andere Sozialleistungen sind gesperrt. Nach und nach konnte ich diese Menschen begleiten und ihre Identität vor dem Staat sicherstellen.» Auch öffneten sich durch sein Engagement die Türen zu einigen Universitäten für Indigene Studierende. «Wir versuchen, das jetzt auf andere Bereiche auszuweiten.»
Bevölkerung vertrieben
Paraguay verfügt über viele Wasserreserven und ist auch stark in der Produktion von Soja, Fleisch, Zucker und Mais. Auch als Exportland für elektrische Energie ist Paraguay sehr gefragt. «All dies ist gleichzeitig auch eine Gefahr für die Indigene Bevölkerung», hält Thomas Hasler fest, «Denn die Gebiete, wo die Indigene Bevölkerung lebt, geraten ins Interesse der Grosskonzerne.» Das gösste Wasserkraftwerk Paraguays habe 36 Gemeinschaften auf paraguayischem Gebiet und fast ebensoviele Gemeinschaften in Brasilien vertrieben. Hasler nutzt Facebook, auch um darauf aufmerksam zu machen. «Mit meinen Facebookbeiträgen möchte ich der Paraguayischen Bevölkerung einen Einblick in das Leben und die Wirklichkeit der Indigenen Völker eröffnen. Von Zeit zu Zeit versuche ich auch mit Tiktok an die jungen Menschen zu gelangen, doch dies ist mir bisher noch nicht gelungen.»
Im Heute leben
«Aus jedem kleinen Lächeln im Gesicht des anderen wird ein Grund zur Hoffnung und Freude», sagt Thomas Hasler. «Ziele zu setzen und erreichen zu wollen, ist in meinem Alltag nicht all zu wichtig. Jesus sagt zu seinen Jüngern: Ich bin gekommen damit Ihr Leben habt und Leben in Fülle. Dieses Ziel verfolge auch ich in meinem Alltag.» Eine Rückkehr in die Schweiz ist für Thomas Hasler keine Option: «Als Steyler Missionar sind wir eingeladen, neue Menschen und Kulturen kennenzulernen. Meine Mission ist Paraguay und wenn Gott es so will, möchte ich auch die kommenden Jahre hier leben und meine letzte Ruhestätte in der roten Erde Paraguays finden.»
Bild: zVg.
Schule aufgebaut
Der Steyler Missionar Thomas Hasler, geb. 1964 in Thal SG, unterstützt seit drei Jahren die indigenen Menschen in der Grossstadt Ciudad del Este. Zuvor half er mit, eine Sekundarschule und ein Lehrerseminar für das indigene Volk aufzubauen und leitete 16 Jahre lang eine landwirtschaftliche Schule mit Internat für Jugendliche aus Bauernfamilien.
Video Thomas Hasler in Paraguay
Bruder Thomas, was haben Sie von den Guarani gelernt?
Thomas Hasler: Die Guaranies verstehen sich als Bewahrer des Urwaldes. Allesm was es auf der Erde gibt, hat Leben und muss mit Respekt behandelt werden. Deshalb haben die Guaranies keine Soldaten gehabt. Es wurde gejagt aber nur um den täglichen Bedarf an Lebensmitteln zu decken. Dankbar zu sein für das, was ich täglich erhalte und mit weniger Dingen auszukommen, ist deshalb etwas was mir heute sehr ans Herzen gewachsen ist. Ich könnte noch viele andere Werte nennen. Doch in meiner jetzigen Aufgabe hier in Ciudad del Este, mitten in der Stadt, wurde mir bewusst, wie wichtig es für die Guaranies ist, den Kontakt zu Gott aufrechtzuhalten. Wenn alles, was wichtig war (Urwald, Freiheit, Natur, Gemeinschaftsleben usw) nicht mehr vorhanden ist, und man mitten in der Stadt auf einem kleinen Grundstück lebt und versucht, seinen Alltag mit dem Sammeln von Karton, Plastikflaschen und Aluminiumdosen zu erreichen, ist es umso wichtiger, mit Gott in Kontakt zu sein. Deshalb haben alle Gemeinschaften eine Gebetstelle und falls es keinen religiösen Leiter gibt, wird zum Pendrive gegriffen, damit der Gebetstanz stattfinden kann. Für mich ist diese Erfahrung sehr wichtig und hilft mir auch sehr vorsichtig zu sein in meinem missionarischen Wirken.
Oft fühlt man sich als Einzelner ohnmächtig: Was soll ich gegen die Macht der Konzerne / Politik schon unternehmen? Was können Menschen in der Schweiz tun, um den Indigenen in Paraguay zu helfen?
Thomas Hasler: Viele Menschen in der Schweiz machen Ferien im Ausland. Man ist sich gewohnt Länder in allen Kontinenten anzuschauen. Ich denke es ist wichtig, nicht nur die Touristenattraktionen zu besuchen, sondern sich für die „Wunden“ der verschiedenen Kulturen und Lebensweisen der Menschen zu interessieren. Es wäre schön, wenn der Tourismus bei uns immer mehr zu einer Möglichkeit des persönlichen Kontaktes mit den Menschen vor Ort werden könnte.
Und sonst?
Thomas Hasler: Mich beeindruckt, wie Menschen in der Schweiz versuchen, bewusst einzukaufen und auch bewusst auf verschiedene Dinge zu verzichten. Produkte zu kaufen, die unter gerechten Bedingungen erzeugt wurden ist sehr wichtig. Doch in meinen Jahren als Schulleiter einer landwirtschaftlichen Schule habe ich gelernt, dass dies für die Produzenten sehr kostspielig ist. Ich wollte unseren organisch produzierten Yerba Mate Tee als solchen eintragen lassen und eventuell nach Kanada exportieren. Doch die Unterlagen, um ein solches Ziel zu erreichen, sind dermassen teuer, dass es für einen kleinen Betrieb unmöglich ist. Dennoch bin ich überzeugt, dass es wichtig ist sich zu organisieren, mit anderen zusammen zu arbeiten und gemeinsam ein solches Ziel anzustreben. Die Steyler Missionare haben ein Programm mit dem Namen „Missionar auf Zeit“, auch andere Ordensgemeinschaften und -organisationen bieten ähnliche Möglichkeiten an. Seit meiner Ankunft in Paraguay durfte ich verschiedene junge Männer und Frauen bei einem solchen Einsatz in Paraguay begleiten. Meine Erfahrung bei solchen Einsätzen zeigt mir, wie wichtig es ist sich das Leben in Paraguay oder auch in anderen Ländern aus der Perspektive der Menschen vor Ort zu betrachten.
Was vermissen Sie am Leben in der Schweiz?
Thomas Hasler: Seit 36 Jahren lebe ich in Paraguay und dennoch habe ich immer noch einen ausländischen Akzent. Viele Werte, die ich als Kind gelernt habe, begleiten meine Denkweise. Deshalb wird die Schweiz immer in meinem Herzen bleiben. Dank Youtube und anderen Medien kann ich in einsamen Momenten Schweizer Volksmusik hören und mich an den Texten erfreuen. Auch Bilder vom Säntis, dem Hohen Kasten und anderen Bergen der Schweiz bringen mir stets Freude in meinen Alltag. Dennoch bin ich in Paraguay zuhause. Paraguay hat mich angenommen und hier habe ich alles, was ich zum Leben und Glücklichsein brauche. Ich bin Gott dankbar, dass er mich hierhin geführt hat.
Weitere Informationen zu den Projekte der Steyler Missionare in Paraguay (Website Steyler Missionare)