Am 5. Juli wird Bischof Beat Grögli zum 12. Bischof von St. Gallen geweiht. Er spricht im Interview mit dem Pfarreiforum über den Mut zu Experimenten, welche grossen Themen ihn als Bischof beschäftigen werden und was er vom Heiligen Gallus gelernt hat.
Bischof Beat Grögli, bald werden Sie zum Bischof von St. Gallen geweiht. Welchen Bezug haben Sie zum Heiligen Gallus?
Beat Grögli: Das kulturelle Erbe, das vom Heiligen Gallus ausgeht, ist gewaltig. Das Kloster St. Gallen hat europaweit Spuren hinterlassen. Diesen Spuren verdanke ich viele internationale Kontakte. Eine Besonderheit aus dem Leben des Heiligen Gallus hat sich mir eingeprägt: Dort, wo er und Kolumban gepredigt haben, endete es im Fiasko – sei es in Tuggen oder in Bregenz. An beiden Orten wurden sie davongejagt. Die Frucht ihres Wirkens ging dort auf, wo sie nicht gepredigt haben, sondern präsent waren, sich eingebracht haben und in Beziehung mit anderen getreten sind.
Es kommt also nicht auf eine gute Predigt an?
(lacht) Das heisst nicht, dass die Predigtvorbereitung nicht wichtig wäre! Aber das Da-Sein ist, glaube ich, noch viel wichtiger. Darin hat für mich persönlich in den letzten Jahren die Heilige Wiborada an Bedeutung gewonnen – durch die verschiedenen Projekte, die sie neu ins Gespräch gebracht haben. An ihr fasziniert mich ihr Durchhaltevermögen. Das scheint mir etwas sehr Aktuelles zu sein: Einen langen Atem haben, dranbleiben – diese Aspekte habe ich in den ersten Interviews als Bischof erwähnt. Mich hat überrascht, dass ich gerade auf diese Aussagen die meisten Reaktionen bekommen habe. An der Oberfläche bleiben, schnell aufgeben und immer wieder den Ort wechseln – das lässt sich heute in vielen Lebensbereichen beobachten. Alles ist so schnelllebig. Auch in der Weltpolitik. Das scheint viele zu beschäftigen. Wenn jemand hingegen einen langen Atem hat, kann etwas Grosses entstehen. Bedeutsam für heute ist auch, dass der Heilige Gallus und der Heilige Kolumban in ganz Europa Spuren hinterlassen haben.
Firmung ab 18, die Errichtung der Seelsorgeeinheiten, das waren wichtige Schritte, die die Amtszeiten von Bischof Ivo Fürer und Bischof Markus Büchel geprägt haben. Welche Schritte möchten Sie gehen? Wo werden Sie einen langen Atem brauchen?
Die Personalsituation im Bistum ist sehr angespannt und das wird sich in den nächsten zehn Jahren wohl noch weiter zuspitzen. Es wird immer schwieriger, die Stellen in den Seelsorgeeinheiten zu besetzen. Für mich stellt sich die Frage, wie wir kraftvolle und lebendige Orte gestalten können, die ausstrahlen. Solche Orte machen Kirche und den Glauben erfahrbar und ziehen die Menschen an. Nur dort wird der Glauben auch immer wieder genährt und dort engagieren sich Freiwillige gerne: Es macht ihnen Freude, es belebt sie, da gibt es eine Dynamik, da wird kein Untergang verwaltet. An solchen Orten können auch wieder neue Berufungen wachsen.
Braucht es dafür aber nicht auch Reformen?
Papst Franziskus hat sich für Synodalität eingesetzt und die Weltkirche dazu aufgefordert, synodaler zu werden. Die Beteiligung aller an den Prozessen und Entscheidungen hat im Bistum St. Gallen eine lange Tradition, ein Beispiel dafür sind die diözesanen Räte und Gremien. Die Diskussionen um Reformen gehen oft auch Hand in Hand mit Forderungen nach klaren und neuen Regeln, die von oben erlassen werden sollten. Andererseits nehme ich in unserem Bistum in vielen Bereichen einen guten pastoralen Umgang mit komplexen Situationen wahr. Mir scheint, dass das weiter führt als Reformen per Dekret.

Braucht es in der Kirche mehr Mut zum Experiment? Firmung ab 18 ist vor knapp dreissig Jahren als Experiment gestartet.
Ja, der Weg entsteht im Gehen. Firmung ab 18 ist ein eindrückliches Beispiel, von dem sich viel lernen lässt. Da war auch nicht am Anfang ein bischöfliches Dekret, sondern Menschen in den Pfarreien, die realisiert haben: Die bisherigen Wege funktionieren nicht mehr, es braucht einen neuen Aufbruch. Der Bischof hat zugehört und es dann in die diözesanen Räte gebracht. Erst nach diesen Konsultationen und als sich gezeigt hat, dass sich das neue Firmalter bewährt, hat der Bischof einen Entscheid für das ganze Bistum getroffen.
Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in der katholischen Kirche wächst. Muss das Bistum für diese Realität noch sensibler werden?
Ein Bewusstsein dafür gibt es schon lange – auf Bistumsebene, aber auch in den Pfarreien. Wichtig scheint mir, überall eine Willkommenskultur aufzubauen und zu leben – für Menschen aus allen Kulturen, aber auch für Menschen, die kirchenfern sind. Wie gelingt es uns, dass sich Menschen willkommen fühlen? Gerade Menschen mit Migrationshintergrund schätzen in der Regel eine Liturgie, die verlässlich ist. Hier finden sie sich wieder; das ist ihnen vertraut. Ein Highlight war für mich als Dompfarrer immer der Gottesdienst am Sonntag der Nationen in der Kathedrale. Da wirken Menschen aus verschiedenen Kulturen mit und bringen sich mit ihren Traditionen ein. Beim anschliessend Apéro gibt es viel Austausch. Schon ein paar Mal habe ich gehört: «Wer nicht dabei ist, verpasst etwas.»
Sie haben diesbezüglich schon Experimente gewagt: Bei einem KI-Kurs haben Sie einen digitalen Zwilling von sich erstellt und einen Adventsgruss in verschiedenen Sprachen gesprochen. Wie kam das an?
(lacht) Das war eine spontane Idee. Es war nur eine Sache von drei Minuten, die Botschaft im Dialekt in die Kamera zu sprechen. Der Rest erledigte die KI. Ich habe bewusst nur Sprachen gewählt, die Freunde von mir sprechen: Spanisch, Italienisch, Englisch, Französisch, Polnisch, Slowenisch, Ukrainisch, Chinesisch. Die Rückmeldungen waren positiv.
Der Frauenbund Schweiz hat das «katholisch» aus seinem Namen gestrichen. Wie ist «katholisch» bei Ihnen besetzt?
Ganz klar positiv, denn ich verstehe es von seiner ursprünglichen Bedeutung her: «weltumspannend». Katholisch – weltweit – glauben, ist schön! Ich denke an die Weltkirche, wir sind Teil einer weltweiten Gemeinschaft, für mich sind durch dieses Netzwerk viele Freundschaften mit Menschen überall auf der Welt entstanden. Wie Menschen in anderen Ländern ihren Glauben leben und Gottesdienst feiern, hat mich schon immer fasziniert. Mein Ja zur konkreten katholischen Kirche habe ich gegeben. Das heisst nicht, dass ich alles gut finden muss oder nicht mehr kritisch hinschaue. Aber hinter dem grundsätzlichen Ja gab es für mich nie ein Fragezeichen.
Aber viele tun sich heute schwer damit, katholisch zu sein und dazu zu stehen.
Es ist heute sehr einfach, an der katholischen Kirche Kritik zu üben. Das kostet nichts. Aber es kostet etwas, zum Glauben und zur Kirche zu stehen und die richtigen Worte zu finden. Rückzug in eine eigene Welt kann nicht die Lösung sein. Es geht ja darum, sichtbar zu machen, was einem im Glauben persönlich wichtig ist. Wo ich das mit Freude ausstrahle, wird es auch bei anderen ankommen.
Interview: Stephan Sigg
Bild: Urs Bucher
Veröffentlichung: 23.06.2025