«Ich bin sehr stolz darauf», sagt Anna Tereshchuk und zeigt auf ein Büchlein vor ihr auf dem Tisch. Das Titelbild zeigt einen strahlend blauen Himmel und leuchtend gelbe Löwenzahn-Blumen. Der Titel des Buchs: «In den Farben meiner Heimat». Anna lächelt. Sie wirkt glücklich an diesem Samstagmorgen. «Das bin ich auch», sagt sie auf Nachfrage. Dass die 17-Jährige so unbeschwert ist, ist keine Selbstverständlichkeit. Als 13-Jährige musste Anna aus Soledar in der Ostukraine vor dem russischen Angriffskrieg flüchten. Im Büchlein, das sie für den Projektunterricht in der Oberstufe geschrieben hat, hat Anna auf rund 40 Seiten ihre Fluchterfahrungen niedergeschrieben – vom Weggang in der Ukraine bis zur Ankunft in der Schweiz.
Auf Lehrstellensuche
Seit dem Sommer besucht Anna das 10. Schuljahr in Herisau und macht in diesem Rahmen seit wenigen Wochen ein Praktikum in einer Zahnarztpraxis. «Es gefällt mir sehr gut. Ich hoffe, dass ich eine Lehrstelle erhalte.» Auf die Frage, ob das immer ihr Berufswunsch war, sagt die junge Frau: «Es bringt nichts, sich Pläne zu machen. Oft kommt es anders als man denkt.»
In ihrer Freizeit verbringt Anna gerne Zeit mit ihren Schulfreundinnen oder spielt Volleyball im Verein – etwas, das sie schon in ihrer früheren Heimat gemacht hat. Sie hat sich gut eingelebt und fühlt sich wohl. «Mittlerweile ist die Schweiz meine Heimat. Ich sehe meine Zukunft hier.» Anna flüchtete mit ihrem Vater, der Mutter, dem sechs Jahre älteren Bruder, der Tante und der Grossmutter. «Wir waren über zehn Tage unterwegs mit Bus, Zug und Auto», sagt sie.
Schnell Deutsch gelernt
Anna spricht erst seit ihrer Ankunft vor rund drei Jahren Deutsch. Sie hat die Integrationsklasse besucht. Dass sie nun ein ganzes Buch verfasst hat, erstaunt. Selbst die Eltern hätten nicht geglaubt, dass sie das Projekt «durchziehen» würde, sagt Anna. «Ich habe immer gerne geschrieben. Es war für mich also schnell klar, dass ich dies auch als Projektarbeit machen möchte. Die Frage war nur noch, ob ich eine Geschichte erfinde oder etwas aus dem Leben schreibe.» Wenn sie sprachlich einmal nicht mehr weiter wusste, behalf sie sich mit ChatGPT. Die Herausforderung seien denn auch weniger fehlende Sprachkenntnisse gewesen, sagt Anna. «Auf der Flucht ist viel passiert. Das Schreiben hat mir geholfen, das Geschehene zu verarbeiten und einzuordnen. Aber es war nicht immer einfach, die Erinnerungen nochmals zu durchleben. Es hat mich oft traurig gestimmt.» Demnächst wird Annas Buch veröffentlicht. Die Nervosität bei der Jugendlichen steigt. «Ich hatte Angst, dass sich niemand für das Buch interessiert, aber die Rückmeldungen der Lehrerinnen und Lehrer war gut. Eine Lehrerin habe sogar geweint.» Anna freut sich, dass sie ihre Geschichte erzählen kann. Im Vorwort zu «Die Farben meiner Heimat» schreibt die junge Frau: «Ich werde nicht nur aus meiner eigenen Sicht schreiben, sondern als der Sicht derer, die mir nahestehen, meiner Familie und meiner Liebsten. Durch ihre Worte und Erinnerungen wirst du besser verstehen, was geschehen ist, und fühlen, was wir gefühlt haben.»
Bilder: Ana Kontoulis