In vielen Pfarreien wird die Gottesdienstgemeinde zunehmend kleiner. Gefragt sind neue Gottesdienstformen und ‑zeiten. Pfarreien im Bistum St. Gallen wagen deshalb jetzt neue Wege.
Es ist längst kein Geheimnis mehr: In vielen Pfarreien wird die Gottesdienstgemeinde immer kleiner. Hinzu kommen nicht selten personelle Engpässe. Vor allem Priester fehlen. Wie künftig genügend Eucharistie feiern? Dies stellt die Pfarreien zunehmend vor ein Problem. «Wir alle merken, dass es so nicht weitergehen kann. Einfach zusehen und abwarten ist für uns keine Alternative mehr», sagt Philipp Wirth, Pfarreibeauftragter der Seelsorgeeinheit (SE) Steinerburg. Diese hat auf das aktuelle Kirchenjahr hin die Gottesdienstordnung angepasst. Die Eucharistiefeier am Samstagabend in Steinach wurde gestrichen. «Wir konnten nicht mehr alle Gottesdienste aufrechterhalten», erklärt Wirth. Genauso tönt es aus der Stadt St. Gallen. In den Pfarreien St. Georgen, Riethüsli und St. Otmar, die räumlich nahe beieinander liegen, wurde die Gottesdienstordnung ebenfalls angepasst. Seit diesem Jahr finden pro Wochenende nur noch zwei statt drei klassische Sonntagsgottesdienste statt. Eine direkte Auswirkung des Priestermangels und der immer kleiner werdenden Festgemeinde, wie die Pfarreibeauftragte Barbara Walser sagt.
Anpassungen bedürfen Mutes
Gottesdienst streichen und gut ist? Ganz so einfach ist es nicht. Wenn Zeiten angepasst oder gewohnte Feiern gestrichen werden, ist das immer auch mit Kritik verbunden. Erich Guntli, Pfarrer in der SE Werdenberg, spricht von einem Spannungsfeld. «Viele Gläubige reduzieren das kirchliche Leben auf Gottesdienstbesuche. Und der Grossteil will, wenn überhaupt, am Sonntag um 10 Uhr in die Kirche.» Anpassungen bedürften Mutes, so Guntli. Auch Barbara Walser hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Der Sonntagsgottesdienst sei vor allem für traditionelle Gläubige noch heilig, so Walser. Sie verschweigt aber auch nicht, dass die Kirchen in ihrem Gebiet häufig ziemlich leer sind. «Manchmal predigen wir vor 20 Gläubigen. Wie soll da noch eine feierliche Stimmung aufkommen?» Walser fragt dies rhetorisch. «Es gibt eben auch viele, die andere Formen der Gemeinschaft suchen», sagt sie. Dompfarrer Beat Grögli ist in einer komfortableren Situation. Die Kathedrale St. Gallen ist eine Zentrumskirche, die Gläubige aus der ganzen Region anzieht. Trotzdem gab es auch hier Anpassungen. Nach den Sommerferien wurde die Frühmesse vom Mittwoch auf den Abend um 17.30 Uhr verlegt. Die Frühmesse vom Dienstag ist neu in der Gallus-Krypta. «Wir müssen innovativ bleiben – in den Zeiten und in den Orten. Wenn wir während der normalen Arbeitszeit Gottesdienste anbieten, schliessen wir einen grossen Teil der Gläubigen grundsätzlich und bereits von Beginn an aus. Und das wollen wir nicht», erklärt der Dompfarrer. «Die Gottesdienstzeit ist ziemlich entscheidend.»
Wieder mehr Nähe schaffen
Die Pfarreien, und mit ihnen die Gläubigen, müssen sich der veränderten Realität stellen. Die Lösung sind unter andem neue Gottesdienstformen. Wirth sieht in der notwendigen Anpassung denn auch eine Chance: «Wo etwas verschwindet, wird immer Platz geschaffen für Neues. Wir versuchen, trotz weniger Gottesdienste, näher an die Menschen heranzukommen. Mit neuen Angeboten können wir vielleicht auch jenen Gläubigen gerecht werden, die keine klassischen Kirchgänger sind.» Die Hauptfrage für ihn sei nicht, ob es künftig genügend Priester gebe, sondern: «Wie wollen wir künftig mit den Gläubigen unterwegs sein und die Gemeinschaft pflegen?» Die Menschen würden heute oft spezielle und auf sie zugeschnittene Angebote suchen, sagt auch Barbara Walser und nennt als Beispiel die Kirche Kunterbunt. Das aus England stammende, überkonfessionelle Konzept zieht in der Stadt St. Gallen die Familien in Scharen an. «Durch die Streichung der Gottesdienste haben wir Raum geschaffen für etwas, dem mehr Ausdruck und Kraft zugrunde liegt», sagt Walser. Und genau hier liegt auch für Beat Grögli der Punkt. «Die Feiern müssen kraftvoll, sorgfältig gestaltet und von einer Gemeinde getragen werden. Dort, wo kraftvoll gefeiert wird, kommen auch die Gläubigen.» Das gelte für alle Arten von Feiern, so Grögli. Er weiss, dass dies für kleinere Pfarreien nicht immer einfach ist. «Wir müssen wohl unsere Kräfte konzentrieren und uns gut überlegen, wie wir was machen.»
Alle sollen mithelfen
Die SE Steinerburg fasst die neuen Angebote unter dem Schlagwort «Kreativfeiern» zusammen, wobei diese ganz unterschiedlich sind: Eine Hungertuchmeditation während der Fastenzeit, eine «Zeuerle»-Feier, in der die Verbindung von Klang, Gemeinschaft und Gott hör- und erfahrbar wurde, eine Oster-Lager-Feuer-Feier, eine Kreativfeier mit Austausch über den Glauben und eine mit Bibelteilen. Dabei setzt die Pfarrei auf die Mithilfe vieler – alle Gläubigen dürfen Feiern vorbereiten und ihnen vorstehen. In den Pfarreien Riethüsli, St. Georgen und St. Otmar werden nun unter anderem mehr Wortgottesfeiern abgehalten. Zudem hat sich eine ökumenische Feiergruppe formiert. «Völlig selbstständig, ohne unser Zutun. Das freut uns sehr und zeigt, dass es ein Bedürfnis ist, Gemeinschaft auch ausserhalb des gängigen Gottesdienstes zu erfahren», sagt Walser. Für alle Befragten ist aber klar: Gottesdienste ersatzlos zu streichen, ist keine Option. «Es geht nicht um ein Konkurrenzdenken. Es geht darum, die Kirche zu ergänzen», sagt Erich Guntli.
Text: Alessia Pagani
Bild: Pixabay
Veröffentlichung: 1. November 2024