Viele ihrer Predigten schreibt Petra Oehninger zuhause am Küchentisch statt im Büro.
Inspiration für eine Predigt finden und gegen Lampenfieber ankämpfen: Petra Oehninger beschreibt, was zum Predigen alles dazugehört und wie sie mit Vorurteilen umgeht. Die 49-Jährige arbeitet seit 14 Jahren als Seelsorgerin in der Region Werdenberg.
21.07.2021
Inspiration
Für eine gute Predigt brauche ich eine zündende
Idee. Und diese habe ich meistens
nicht dann, wenn ich in meinem Büro am
Schreibtisch sitze und krampfhaft überlege.
Wichtiger sind für mich Situationen und Assoziationen
aus dem Alltag. Ich kann beispielsweise
einen Krimi lesen und auf einmal weiss ich, welches
Thema ich in meiner nächsten Predigt aufgreifen
möchte. Auch im Stall bei meinen Geissen
und Hühnern finde ich Ruhe und Abwechslung
zu meinem Alltag als Seelsorgerin. Ein freier Kopf
ist für mich aber genauso wichtig wie Zeitdruck.
Etwa vier Tage bevor ich eine Predigt halte, fängt
es in meinem Kopf an zu rotieren. Dann befasse
ich mich auch mit der entsprechenden Stelle im
Evangelium und den Lesungen, die im Sonntagsgottesdienst
gelesen werden. Zum Spannendsten
gehört für mich dabei, mich mit verschiedenen
Auslegungen und Übersetzungen der jeweiligen
Bibelstelle zu befassen. Einerseits finde ich den
historischen Kontext unglaublich interessant, andererseits
ist es der Bezug zur Gegenwart, der
mich fasziniert. Mich mit den verschiedenen Texten
auseinandersetzen zu können, ist für mich
der spannendste Teil am Predigen.»
Lampenfieber
Auf das Predigen selbst würde ich hingegen
am liebsten verzichten. Zu wissen,
dass ich bald wieder vor Menschen sprechen
werde, verursacht bei mir Lampenfieber und
ich bin schon am Tag davor nervös. Sobald der
Gottesdienst beginnt, sind aber alle Ängste wie
verflogen. Trotzdem schreibe ich mir zur Sicherheit
alles auf, was ich sagen werde. Vor einigen
Jahren predigte ich im Altersheim und als ich an
die Stelle mit dem Glaubensbekenntnis kam, da
war es wie weggeblasen. Unter den Mitfeiernden
sassen zwei Frauen, die regelmässig in die Gottesdienste
kamen. Sie schauten mich an und sagten,
ihnen sei das Glaubensbekenntnis gerade auch
entfallen. An solche Erlebnisse denke ich schmunzelnd
zurück. Ich bin eine Person, die gerne über
ihren eigenen Schatten springt und Dinge wagt.
Bevor ich eine Predigt halte, gebe ich sie immer
meinem Mann zum Lesen. Ich kann mich auf seine
Meinung verlassen. Wenn er etwas als zu theologisch
oder zu unverständlich empfindet, dann
überarbeite ich die Stelle noch einmal. Er sagt oft
auch zu mir, man müsste mich und mein Lampenfieber
einmal vor einer Predigt erleben, so selbstsicher
wie ich vorne in der Kirche wirke.»
Überzeugung
Es gibt immer wieder Situationen in der
seelsorgerischen Tätigkeit, bei denen ich
gefragt werde, ob ich das überhaupt tun
dürfe. Dann antworte ich, dass ich es sonst nicht
machen würde.» So oder so bin ich froh, in einem
liberalen Bistum zu arbeiten. Etwas anderes
könnte ich mir auch nicht vorstellen. Natürlich
ist die Frage berechtigt, wieso ich für die katholische
Kirche arbeite, obwohl Männer und Frauen
dort nicht gleichberechtigt sind. Meine Motivation
ist, mich an der Basis einzusetzen und
durch mein Handeln etwas zu verändern und zu
bewegen. Als wir in der Seelsorgeeinheit von der
Aktion «Helvetia predigt!» am 1. August erfuhren,
meinte Pfarrer Erich Guntli, damit sei klar,
dass ich oder meine Kollegin die Predigt übernehmen
werden. Da sich das aber mit unser beider
Ferien überlappt, muss er nun in die Bresche
springen. Ich arbeite seit 26 Jahren in der Seelsorgeeinheit
Werdenberg. Zunächst war ich Religionspädagogin,
seit 2007 bin ich Seelsorgerin.
Diesen Sommer wird unser Team mit einer jungen
Seelsorgerin direkt ab Studium erweitert. Ich
freue mich auf mehr Frauenpower. Denn generell
gilt: Je diverser ein Team zusammengesetzt ist,
umso besser kann es auf die verschiedenen Lebenswelten
der Kirchenmitglieder eingehen.»
Die Predigt
Nach einer Predigt erhalte ich von den
Mitfeiernden regelmässig Rückmeldungen.
Meist sprechen mich jene Personen
an oder schreiben mir ein Mail, denen meine
Predigt gefallen hat. Manchmal sind auch
kritische Stimmen darunter, aber Kritik bringt
mich weiter. In den ländlichen Pfarreien wie
Gams oder Sennwald predige ich immer auf
Schweizerdeutsch, im multikulturellen Buchs
hingegen auf Hochdeutsch. Ausserdem versuche
ich immer, mich auf andere Lebenswelten einzulassen
und aktuelle Themen aufzugreifen. So
kann zum Beispiel schon einmal ein landwirtschaftlicher
Aspekt Inhalt meiner Predigt sein.
Das wird geschätzt. In einer meiner jüngsten
Predigten habe ich das Thema ‹ehrenamtliches
Engagement› aufgegriffen. Die Idee dazu hatte
ich, weil wir endlich unser Mitarbeiteressen
durchführen konnten, das wir wegen Corona so
lange verschieben mussten. Die zahlreichen Ehrenamtlichen
gehören zum Wertvollsten für
eine Kirche. Wer nur die Profis wertschätzt, der
muss sich nicht wundern, wenn auf einmal die
ganze Basis fehlt.»
Text: Nina Rudnicki
Bild: Ana Kontoulis