Nebst viel Einmaligem gibt es in der Stiftsbibliothek St. Gallen auch Duplikate zu entdecken. Den Fragen, ob und worin sich diese unterscheiden lassen, geht der einstige Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi an einer öffentlichen Führung im April nach.
«So einfach ist das mit der Einmaligkeit nicht», sagt Stiftsbibliothekar Cornel Dora. Aktuell zeigt die Stiftsbibliothek in St. Gallen in der Ausstellung «Nur du!» einmalige Handschriften, die als solche Unikate sind. «Das bringt die Fragen mit sich, was Einzigartigkeit ist und in welchem Verhältnis Duplikate zu den Originalen stehen», sagt Dora. Sei beispielsweise etwas, das von tausend Stück als Einziges noch übrig sei, ein Original oder ein Duplikat? «Ich fand, im Rahmen der Ausstellung sollten wir unbedingt jemanden einladen, der sich sowohl mit der Herstellung von Originalen als auch Kopien auskennt», sagt er. Am 14. April wird daher der Maler und ehemalige Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi durch den Barocksaal der Stiftsbibliothek führen.
Duplikate der Stiftsbibliothek
«Das Interessante an Beltracchi ist, dass er versteht, wie die Originale gemacht wurden. Welche Pinsel, Farben und Techniken die jeweiligen Künstler angewendet haben», sagt Dora. Auch in der Stiftsbibliothek gibt es nebst den Originalen wie den Deckengemälden im Barocksaal Duplikate. Dazu gehört etwa das Gemälde «Der Leichnam Christi im Grab» von Hans Holbein dem Jüngeren. Das Original aus dem 16. Jahrhundert befindet sich gemäss Dora in der Öffentlichen Kunstsammlung in Basel. In der Stiftsbibliothek ist hingegen eine Kopie aus dem 17. Jahrhundert zu sehen. Was braucht es, damit solche Duplikate gelingen? Antworten auf diese und weitere Fragen wird Wolfgang Beltracchi den Besucherinnen und Besuchern an der Führung geben. 50 Personen können teilnehmen.
Als Originale verkauft
Beltracchi selbst wanderte für seinen Betrug 2011 ins Gefängnis. Er hatte während 40 Jahren Bilder weltbekannter Künstler wie Max Ernst, Fernand Léger, Heinrich Campendonk und Kees van Dongen gefälscht und als Originale verkauft. Wie er dem katholischen Newsportal kath.ch erzählte, hat er allerdings nie existierende Gemälde von Künstlern einfach kopiert. Vielmehr hat er Gemälde eben in dem Stil gemalt, wie sie ein bestimmter Künstler hätte malen können. Damit täuschte er Kunstexpertinnen und ‑experten auf der ganzen Welt.
In Kirchen aufgewachsen
Heute arbeitet der 72-Jährige täglich in seinem Atelier in Meggen bei Luzern und lebt von seiner eigenen Kunst. Aktuell hat er etwa sein Gemälde von der Arche Noah nach der Sintflut für 250 000 Franken verkauft. Mit der religiösen Seite der Kunst ist Beltracchi schon früh in Berührung gekommen. Sein Vater war Kirchenmaler. «Ich bin quasi mit Engeln und goldumrandeten Altären aufgewachsen», sagt er kath.ch gegenüber. Auch Messdiener sei er gewesen. Beltracchi hält sich im Grunde für einen «grundehrlichen Menschen» und ist überzeugt, dass Religion und Kirche für viele Menschen wesentlich sind. «Religion und Glauben vermögen in schwierigen Lebenssituationen Trost und Hoffnung zu spenden und einen emotionalen Halt zu geben», sagt er. Die Bilder, die er damals gemalt habe, habe er nicht bereut, nur unter das Bild den falschen Namen gesetzt zu haben.
Ablassbrief als Unikat
Gekritzel am Seitenrand oder ein persönlicher Brief: Nebst den Gemälden besitzt die Stiftsbibliothek viele Zeugnisse, die in der einen oder anderen Weise einmalig sind. Das Spektrum sei hierbei sehr weit, sagt Cornel Dora. Beispielsweise seien Ablassbriefe im Mittelalter in grossen Mengen in Umlauf gewesen. In St. Gallen sei von einem gedruckten Stuttgarter Ablass das einzige Exemplar erhalten geblieben. Die Urkunde enthalte den Namen einer Frau, Margreta Geucherin aus Kaufbeuren, die den Ablass am 13. April 1466 erhalten hat. Dora sagt: «Sowohl die Tatsache, dass es den Druck nun nur noch einmal gibt, als auch, dass er für einen ganz bestimmten Menschen ausgestellt wurde, macht das Dokument zum Unikat. Hoffen wir, dass sie den Ablass tatsächlich bekommen hat.»
Ein Weltgebetstag zum Thema Palästina? Die Toggenburger Seelsorgerin Leila Liebenberg hat im Westjordanland ihren Bildungsurlaub verbracht und miterlebt, wie nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel eine Kontroverse um die ökumenische Frauenbewegung entstanden ist.
Als alle Flüge ausser jene der israelischen Fluggesellschaften gestrichen wurden, wusste Leila Liebenberg, dass eine Heimreise in die Schweiz schwierig werden würde. Acht Wochen wollte die Toggenburger Seelsorgerin für ihren Bildungsurlaub eigentlich im Westjordanland bleiben. Doch dann kam es am 7. Oktober 2023 zum Terrorangriff der Hamas auf Israel. «Ich buchte drei Flüge, die aber alle gecancelt wurden», sagt sie. Schliesslich klappte die Heimreise mit einem Tag Zwischenhalt über Athen. «Freunde und Familie waren erleichtert. Ein weiterer Grund auszureisen war für mich aber auch, dass ich meine Arbeit im Flüchtlingslager Askar nicht fortsetzen konnte», sagt sie. Sämtliche Schulen und Läden im Gebiet der Grossstadt Nablus seien wegen Streiks während der militärischen Reaktion Israels geschlossen gewesen. Eigentlich hätte sie mit den Kindergartenkindern das ABC lernen und mit den Frauen Sport machen sollen.
Ausflüge zum Sama Nablus sowie Unterricht in einem Kindergarten: Das gehörte zum Alltag der Toggenburger Seelsorgerin Leila Liebenberg während ihres Bildungsurlaubs im Westjordanland.
Kontroverse um Friedensgebet ausgelöst
Während ihres Aufenthaltes hatte sich Leila Liebenberg zudem auf den Weltgebetstag (WGT) vom 1. März 2024 vorbereitet, der dieses Jahr von christlichen Palästinenserinnen gestaltet wird. «Zunächst habe ich gar nicht realisiert, dass ein Weltgebetstag zum Thema Palästina eine Kon-troverse auslösen könnte», sagt Leila Liebenberg, die Teil des WGT-Regionalteams St. Gallen-Appenzell ist. Dieses unterstützt die Pfarreien bei der Umsetzung des Weltgebetstages. So gehören zur Gottesdienstgestaltung etwa Berichte und Fürbitten palästinensischer Frauen sowie palästinensische Lieder. Ist das angesichts der aktuellen Situation im Nahen Osten angemessen und geht solidarisches Beten ohne Partei zu ergreifen überhaupt? Diese Fragen beschäftigen den Weltgebetstag als Organisation derzeit (siehe Kasten).
Spontanes Friedensgebet
Auch in der Ostschweiz gibt es Pfarreien, die das Thema Palästina nicht aufnehmen und sich spontan für ein allgemeines Friedensgebet entschieden haben. «Einerseits finde ich das unglaublich schade. Andererseits verstehe ich, dass die Pfarreien nicht in der Kritik stehen möchten», sagt Leila Liebenberg. Wie sensibel das Thema angegangen werden muss, lässt sich auch aus dem Januarbrief des Weltgebetstagskomitees Schweiz entnehmen. Dieses weist unter anderem darauf hin, dass nicht nur die Anliegen der Frauen in Palästina im Mittelpunkt stehen sollen, sondern auch jene der jüdischen Frauen nicht vergessen werden dürften. Zudem hat das palästinensische Komitee zugesagt, die Liturgie und Gottesdienstbeiträge anzupassen.
Situation der Frauen bekannt machen
«Wie geht es den Frauen im Westjordanland und wie ist die Situation der wenigen Christinnen vor Ort?» Aber auch: Wie schaffen wir es, niemanden vor den Kopf zu stossen?» Als Leila Liebenberg im Januar an der Weltgebetstag-Einführungstagung zur Liturgie aus Palästina von ihren Erfahrungen erzählte, waren das die drängendsten Fragen der Anwesenden. «Der Bildungsstand ist hoch, aber es gibt praktisch keine Jobs. Es gibt alle Lebensmittel, aber sie sind sehr teuer. Frauen werden nicht per se unterdrückt, aber es gibt Gewalt innerhalb der Familien», fasst sie die Situation zusammen. Der Weltgebetstag beinhaltet für sie auch den Versuch, die Situation der Frauen vor Ort bekannt zu machen. Und er ist für sie ein Stück Heimat, gerade in diesem Jahr. Leila Liebenbergs Vater ist arabischer Israeli, der einst sein Land verliess, um in Deutschland zu studieren.
Von der Aktualität überschattet Den Weltgebetstag der Frauen am 1. März 2024 haben in diesem Jahr Palästinenserinnen vorbereitet. Doch seit dem Angriff der Hamas auf Israel im vergangenen Oktober wird die Organisation mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert. In Deutschland wurde deshalb die Weitergabe der Liturgie aus Palästina an die Basis gemäss kath.ch gestoppt. Das Schweizer Komitee verzichtet hingegen auf diesen Schritt. Es setzt auf Ergänzungen und Änderungen von Seiten des palästinensischen Komitee.
Es sei das Einzige, was ihm wirklich helfe: Das sagt der 46-jährige Matthias Maier* über seine Treffen bei der Selbsthilfe St.Gallen und Appenzell. Dort tauscht er sich mit Menschen aus, die wie er von Depression betroffen sind.
Was soll ich sagen? Und will ich die Geschichten anderer Menschen überhaupt kennen?» Diese Gedanken hatte Matthias Maier*, bevor er sich erstmals für eine Selbsthilfegruppe anmeldete. «Ich hatte einfach Angst davor. Freiwillig hätte ich das nie gemacht», erzählt der 46-Jährige in den Räumen der Selbsthilfe St.Gallen und Appenzell. Alle zwei Wochen trifft er sich hier mit anderen Personen, die wie er von einer Depression betroffen sind. «Mit Menschen zu reden, die Ähnliches wie ich erlebt haben, tut gut. Es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl und ich komme aus meiner Bubble heraus. In unserer Gruppe haben wir die verschiedensten Hintergründe», sagt er.
Durchs Trinken überdeckt
Bei Matthias Maier hängt die Depression mit einer Alkoholerkrankung zusammen. Pegeltrinken nennt er es. Das bedeutet, dass er stets einen gewissen Promillestand brauchte, um sich gut zu fühlen. «In meinen 20er-Jahren habe ich wie alle während des Studiums regelmässig getrunken und dachte, das sei ganz normal», sagt er. Es sei immer mehr geworden und in seinen 30ern seien dann an den Wochenenden zunehmend Filmrisse hinzugekommen. Schliesslich habe er während fünf Jahren gar keinen Alkohol mehr konsumiert. «Aber es ist wie mit jeder Suchterkrankung. Sie ist ein Leben lang Teil von einem», sagt er und erzählt, wie in den fünf trockenen Jahren seine Depression sichtbar wurde. «Ich hatte vieles wohl einfach durch das Trinken überdeckt und dadurch gar nicht bemerkt, wie es mir eigentlich geht», sagt er.
Werkzeuge bereit
Ein mulmiges Gefühl im Bauch, leise Traurigkeit, Antriebslosigkeit, Verspannungen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Rückzug vom Umfeld, Weltschmerz und das Gefühl, immer persönlich angegriffen zu werden: Matthias Maier liest einen Text vor, den er wie alle in der Selbsthilfegruppe über die eigene Depression geschrieben hat. Die Teilnehmenden hatten das selbst so gewünscht. Zwei bis drei Wochen kann eine depressive Episode bei ihm dauern. «Glücklicherweise ist die letzte aber schon ein Jahr her. Momentan geht es mir besser. Ich akzeptiere, dass mich diese Gefühle ständig begleiten, aber ich habe Werkzeuge, um mit ihnen umzugehen», sagt er.
Eine Milde entwickeln
Auf guten und genügenden Schlaf achten, eine Milde sich selbst gegenüber entwickeln sowie hinausgehen und sich bewegen: Das sind Dinge, die Matthias Maier guttun. «Vor allem aber helfen ihm Gespräche wie in der Selbsthilfegruppe, aber auch mit Bekannten, Familienangehörigen und seiner Partnerin. Mit ihr ist Matthias Maier, der im Grossraum Zürich aufgewachsen ist, wegen eines Jobangebots vor eineinhalb Jahren aus Hamburg zurück in die Schweiz nach St. Gallen gezogen. Im Internet suchte er nach einer neuen Selbsthilfegruppe. ‹Es ist das Einzige, was bei mir wirklich nützt», sagt er und fügt an: «Das hätte ich nicht erwartet, als ich damals in Hamburg wegen meiner Alkoholerkrankung in eine Tagesklinik kam.» Drei Monate sei er dort gewesen und habe als eine von verschiedenen Massnahmen bei einer Gesprächsgruppe mitmachen müssen. «Ausserdem wurde mir ausdrücklich empfohlen, im Anschluss einer Selbsthilfegruppe in Hamburg beizutreten.» In St. Gallen ist die Gruppe derweil zusammengewachsen. Matthias Maier sagt: «Ein Jahr hat es aber schon gedauert, bis sich die Leute wirklich öffneten und anfingen von schweren und tieferliegenden Dingen zu erzählen.»
* Name geändert
Selbsthilfe Die Selbsthilfe St.Gallen und Appenzell setzt sich für die Stärkung gemeinschaftlicher Selbsthilfe ein. Sie führt Menschen in ähnlichen Lebenssituationen zusammen. Ziel ist, durch Selbstverantwortung und gegenseitige Unterstützung die Lebensqualität und gesellschaftliche Integration von Personen in schwieriger Lebenslage zu verbessern. Selbsthilfe St.Gallen und Appenzell führt rund 200 Gruppen zu unterschiedlichsten Themen. Die Gruppen werden nicht moderiert, sondern durch die Teilnehmenden gestaltet. www.selbsthilfe-stgallen-appenzell.ch sowie Infos unter Tel. 071 222 22 63
Die Zahl der Betroffenen von psychischen Erkrankungen nimmt zu. Trotzdem ist das Thema noch immer ein gesellschaftliches Tabu und wird stigmatisiert. Auf einem Klinikrundgang in Pfäfers erzählt Klinikseelsorger Michael Ehrhardt von seiner Arbeit und warum wir alle nicht vor einer psychischen Erkrankung gefeit sind.
Wenn Michael Ehrhardt und Pascal sich treffen, sprechen sie über Gott und die Welt, über Unternehmungen am Wochenende, über Erlebtes im Alltag. Das tun die beiden Männer regelmässig. Vergangene Woche war das Treffen schwierig, das Gespräch harzig. An diesem Morgen ist die Stimmung besser. Thema ist unter anderem der Hund von Pascals Mutter. Die Treffen mit dem Klinikseelsorger sind für Pascal ein Ankerpunkt im Alltag. Der 50-Jährige leidet seit Jahren unter einer psychischen Erkrankung. Seit rund vier Monaten ist er Patient in der Psychiatrischen Klinik St. Pirminsberg in Pfäfers. Man merkt schnell: Er ist nicht gerne hier, weiss aber, dass es notwendig ist. Oft und gerne sucht er den Raum der Stille auf und liest den Psalm 91 – «unter Gottes Schutz» heisst dieser. «Der Glaube und dieser Ort sind sehr wichtig für mich. Sie geben mir Halt und die manchmal nötige Ruhe», sagt Pascal. Die Bibel liegt vor den Männern auf dem Tisch, an der Wand hängt ein Bild – das Herzstück des Raumes. Unweigerlich fällt der Blick auf das Kunstwerk. Die bunten Farben strahlen Wärme und Zuversicht aus. Nicht nur Pascal, auch der Gast fühlt sich geborgen.
Bei Nicht-Betroffenen lösen die Themen Psychiatrie oder psychische Erkrankung oft Unbehagen aus. Ein Rundgang in Pfäfers vermag dieses teilweise zu nehmen. Die neueren Gebäude und die Patientenzimmer sind lichtdurchflutet und grosszügig. Mit den Patientinnen und Patienten kommt man schnell ins Gespräch, die Abteilungen sind grösstenteils offen und die Mitarbeitenden sind aufmerksam und zuvorkommend. Michael Ehrhardt grüsst dort und winkt hier. Man kennt sich gut.
Zahlen steigen stetig
Die Klinik St. Pirminsberg ist für 150 Personen ausgelegt. Für allfällige Notfälle wird es manchmal eng. Dann helfen sich die Kliniken gegenseitig aus. Die Patientenzahlen haben in den vergangenen zehn Jahren stetig zugenommen, so Michael Ehrhardt. «Einerseits ist der Druck in der Gesellschaft gestiegen, andererseits können wir weniger gut mit diesem Druck umgehen.» Der Grossteil der Patientinnen und Patienten leidet gemäss dem 56-Jährigen unter Depressionen und den «gängigen» Krankheitsbildern wie Schizophrenie, Psychosen und Ängsten.
Abhängigkeiten sind häufig Begleiterscheinungen. Oft haben die Betroffenen keinen geregelten Tagesablauf mehr oder ihnen wächst alles über den Kopf. Innehalten, zur Ruhe kommen und sich auf das Schöne im Leben fokussieren, sei dann wichtig, so Michael Ehrhardt. Er arbeitet seit rund zehn Jahren in einem 40-Prozent-Pensum in Pfäfers. Die übrigen 60 Prozent übernimmt sein reformierter Kollege. Vor Kurzem wurde eine dritte Seelsorgerin in einem 60-Prozent-Pensum angestellt. «In unserer Arbeit geht es vor allem darum, den Menschen Raum zu geben, dass sie erzählen können. Oft reicht es, einfach nur zuzuhören.»
Vom Wetter beeinflusst
Michael Ehrhardt ist für die Seelsorge auf vier Stationen zuständig. Entweder ist er bei der Morgenrunde, beim gemeinsamen Mittagessen oder am Nachmittag bei der Kaffeerunde dabei. Am Freitag feiert er jeweils einen Gottesdienst, in dem persönliche Fürbitten eine wichtige Rolle spielen. Daneben führt er Einzelgespräche. Einen fixen Tagesablauf gibt es für ihn nicht. Er ist da, wenn jemand etwas loswerden oder einfach schweigend einen Spaziergang unternehmen will. Das Angebot ist fakultativ – Ehrhardt geht nicht aktiv auf die Patientinnen und Patienten zu. Das würde auch wenig nützen. «Aufdrängen geht nicht. Manchmal beschränken wir uns auf ein ‹Hallo› auf dem Flur. Einige verlassen sogar den Raum, wenn ich komme. Das akzeptiere ich.»
Patientinnen und Patienten ohne religiösen Bezug erreicht Michael Ehrhardt kaum. «Nicht selten werde ich als Projektionsfläche für negative Erfahrungen mit der Kirche gesehen.» Auch das macht Ehrhardt nichts aus. Die Patientinnen und Patienten dürfen bei ihm «abladen». Die Klinik liegt hoch oberhalb von Bad Ragaz und bietet einen schönen Blick ins Rheintal. Die Lage im Grünen macht sich Ehrhardt gerne zunutze und geht mit den Patientinnen und Patienten nach draussen. «Die frische Luft und die Natur tut fast allen gut und beruhigt.» Allgemein: Das Wetter hat grossen Einfluss auf das Wohlbefinden und damit auf den Klinikalltag. «Wenn es tagelang grau ist, sind die Patientinnen und Patienten oft unausgeglichener und wir haben mehr zu tun.» Ehrhardt schaut aus dem Fenster. Es ist ein sonniger Tag und verschiedene Gruppen kehren gerade vom Morgenspaziergang zurück – ein wesentlicher Bestandteil des Klinikalltags. Ebenso die Ergotherapie und die Kunsttherapie. «Das sind Ausdrucksformen, die den Patientinnen und Patienten helfen sollen, zu sich zu finden und ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Sie sollen wieder lernen, sich mit etwas auseinanderzusetzen, zu reflektieren und einem geregelten Tagesablauf nachzugehen.»
Kein Zeitdruck
Die Patientenschicksale machen betroffen. Wenn Michael Ehrhardt über Menschen spricht, die den Lebensmut verloren haben, die keinen Antrieb haben, denen der Alltag fehlt, wird man traurig und nachdenklich – und ist gleichzeitig dankbar. Der Seelsorger aber wirkt gefasst. Er hat schon vieles miterlebt und hat gelernt zu akzeptieren. «Man würde sich anderes wünschen für diese Personen, aber mit Forderungen kommt man nicht weit.
Wenn jemand kleine Fortschritte macht, ist das für mich ein Highlight.» Die Erfolgschancen seien nicht immer gleich. Rund 350 Angestellte sind in der Klinik St. Pirminsberg tätig. Die Zusammenarbeit ist gut – davon werden wir an diesem Tag Ende Januar Zeuge. Beim Klinikrundgang geht eine Pflegekraft auf Ehrhardt zu. «Kannst du noch zu Frau B. gehen? Sie hat um ein Gespräch gebeten.» Ehrhardt bejaht freundlich. Er sieht sich als Ergänzung zur Behandlung. Der Frage, warum es nebst dem psychologischen Dienst in Kliniken Seelsorger braucht, entgegnet er mit einem Lächeln – ganz so, als hätte er darauf gewartet: «Einerseits sind wir die Fachpersonen, wenn es um religiöse oder spirituelle Fragen geht oder jemand ein Gebet sprechen, die Kommunion oder einen Segen empfangen möchte. Manchmal bin ich einfach Vermittler, damit Sakramente wie Beichte oder Krankensalbung gespendet werden können. Dazu werde ich dann auch speziell angefragt. Andererseits kann ich mir oft mehr Zeit nehmen für die Patientinnen und Patienten und arbeite nicht nach einem Zeitplan. Wenn immer den Betroffenen etwas auf dem Herzen liegt, bin ich da.»
Die Patientinnen und Patienten schätzen das. «Manchen ist es wichtig, dass sie ihre ganze Geschichte erzählen können, ohne Zeitdruck und Unterbrechungen.» Diese Flexibilität bringt einen weiteren Vorteil: Ehrhardt kann die Gespräche führen, wo immer es die Patientinnen und Patienten wünschen. Das Setting, wie er es nennt, müsse für jeden Einzelnen stimmen. Ehrhardt erzählt, wie er in den Gesprächen manchmal an Grenzen stosse, wie herausfordernd es zuweilen sei, das Gegenüber aus der Reserve zu locken. Dann brauche es einen Ansatzpunkt. Ehrhardt führt uns in die Klosterkirche.
Der imposante Barockbau löst Staunen aus – auch bei vielen Patientinnen und Patienten. «Ihre Neugierde wird geweckt. Sie fragen beispielsweise, wie alt die Kirche ist, und schon sind wir in einem Gespräch, das dann oft auch tiefer geht.» Nebst religiösen Themen geht es oft auch um Lebensfragen in Bezug auf die Familie, Kinder oder die Arbeit. Fragen, die uns alle dann und wann herumtreiben – auch Ehrhardt selbst. «Ich erzähle dann aus meinem Leben und wie ich die Situation handhabe.»
Noch immer Tabuthema
Die psychiatrischen Kliniken und ihre Angebote haben sich in den vergangenen 30 Jahren stark gewandelt. Während Jahrzehnten wurde die Praxis der lebenslangen Aufenthalte verfolgt. Das heisst, die Betroffenen wurden in Institutionen «abgeschoben» und fristeten ein meist einsames Dasein. Eine Interaktion mit der Bevölkerung fehlte. Seit der Klinikreform in den 1990er-Jahren steht die Reintegration in die Gesellschaft im Vordergrund. «Die Patientinnen und Patienten sollen nur so lange wie nötig bei uns sein und so schnell wie möglich wieder in ihr gewohntes Umfeld und in ihren Alltag zurückkehren», erklärt Klinikdirektorin Gordana Heuberger. Heute beträgt die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in Pfäfers 32 Tage.
Wie Heuberger sagt, hat die Praxisänderung zur Akzeptanz psychischer Erkrankungen in der Bevölkerung beigetragen, das Thema aber nicht enttabuisiert: «Es wird immer noch stigmatisiert. Wir Menschen werden immer Schwierigkeiten haben, um Hilfe zu bitten und diese anzunehmen. Wir wollen lieber Verantwortung übernehmen. Das geht aber nicht immer.» Und Michael Ehrhardt ergänzt: «Das Feld derjenigen, die sich mit dem Thema beschäftigen, ist grösser geworden. Aber wir müssen aktiver auf die Gesellschaft zugehen und ihr zeigen, dass psychische Erkrankungen dazugehören.»
Interesse steigt
Klar ist: Auch künftig wird es psychiatrische Kliniken brauchen. Die Bevölkerung muss lernen, die Betroffenen zu integrieren und als Teil der Gesellschaft zu akzeptieren. Vor diesem Hintergrund freut es den Seelsorger besonders, dass mittlerweile auch auswärtige Gäste das Klinikcafé besuchen und kürzlich eine Schulklasse für eine Führung angefragt hat. «Das ist eine gute Möglichkeit, uns zu zeigen und Vorurteile abzubauen», sagt Michael Ehrhardt, bevor er sich verabschiedet. Er muss los, sein offenes Ohr ist gefragt. Der heutige Tagesplan ist straff. Am Nachmittag wird er die besagte Patientin auf ihrem Zimmer besuchen und sich mit Pascal noch einen Kaffee gönnen – wie oft nach erfolgreichen Gesprächen. Pascal freuts und er dankt: «Es ist gut, dass Michael da ist. Er ist ein Guter.» Dann muss auch er gehen – es ist 11.40 Uhr und das Mittagessen wartet seit zehn Minuten auf ihn.
Text: Alessia Pagani Bilder: Ana Kontoulis Veröffentlichung: 16. Februar 2024
Durch ihr kirchliches Engagement hat die Bernerin Kathrin Brouwer schnell Anschluss im Sarganserland gefunden. Seither gibt sie der Kirche viel zurück. Seit 15 Jahren etwa ist die 80-Jährige die gute Seele hinter dem Suppentag in Sargans.
«Ich weiss, was es heisst, arm zu sein, und habe daher Verständnis und Mitgefühl für die Menschen, die wenig haben und arm aufwachsen. Ich habe selbst erlebt, was es bedeutet, wegen Armut auf Ablehnung zu stossen.» Kathrin Brouwers Stimme ist leise, wenn sie von ihrer Kindheit spricht. Aufgewachsen als Tochter eines Heimarbeiters in der Stadt Bern, war das Geld in ihrem Elternhaus stets knapp. Hilfe von aussen gab es keine. Diese Zeit hat die heute 80-Jährige geprägt. Ihre Gedanken sind oft bei den weniger Privilegierten unserer Gesellschaft.
Suppenworkshopbesucht
Seit 15 Jahren engagiert sich Kathrin Brouwer für die OeME Sargans (Ökumene, Mission und Entwicklung Sargans) der reformierten Kirche und organisiert und plant zusammen mit ihrer Team-Kollegin den Suppentag, an dem Geld gesammelt wird für die ökumenische Fastenkampagne. In Sargans findet dieser traditionsgemäss am ersten Sonntag nach Aschermittwoch statt. «Als ich für die OeME zugesagt habe, war ich mir nicht bewusst, was auf mich zukommt. Eines ergab das andere. Mitglieder kamen und gingen. Ich bin geblieben», so Kathrin Brouwer.
Sie freut sich auf den Suppentag. Kürzlich hat sie in Baden den Suppenworkshop von Fastenaktion und HEKS besucht – dies, obwohl sie die Suppe für den Suppentag in Sargans nicht selbst zubereitet. Seit vergangenem Jahr ist die ortsansässige Pfadi dafür zuständig, in den Jahren davor waren es die Hobbyköche von Sargans.
Kirche, ein Stück Heimat
Kathrin Brouwer ist eine Kämpfernatur. Mit 25 Jahren fand sie durch ihren Ehemann den Weg ins Sarganserland. Sie fühlte sich einsam, hatte keine Freunde und Bekannte. Damals begann ihre Verbindung zur Kirche. «Ich wollte mich der Gesellschaft anschliessen und musste mich integrieren. Die Kirche half mir sehr dabei. Sie war für mich ein Stück Heimat.» Die Ernüchterung kam allerdings schnell. «Ich hatte stets viele Ideen, aber nicht alle wurden aufgenommen.» Sie habe auch grosses Glück in ihrem Leben gehabt, sagt Kathrin Brouwer. Als Anfang der 1970er-Jahre im Sarganserland eine Musikschule aufgebaut wurde, konnte sie den Ausbildungskurs zum Erteilen von Blockflötenunterricht besuchen und bis zur Pensionierung als Flötenlehrerin dort unterrichten. Nebenher hat sie die Singschule St. Gallen und das Kirchenmusikseminar mit Diplom abgeschlossen. «Die Geburt meiner zwei Kinder hat meinem Leben aber den grössten Sinn gegeben.»
Zusammenarbeit stärken
Kathrin Brouwer ist ihren Weg gegangen. Nebst der Arbeit in der OeME ist sie in den monatlich stattfindenden, ökumenischen Abendmeditationen «Schweigen und Hören» musikalisch und manchmal auch inhaltlich tätig. Sie engagiert sich mit viel Herzblut für die Kirche, weiss aber, dass dies kein dauerhafter Zustand ist. «Es ist eine Frage der Zeit. Ich weiss nicht, wie lange ich das vor allem gesundheitlich noch machen kann.» Für die Zukunft hat die vife Seniorin einen grossen Wunsch: «Der ökumenische Gedanke soll in der Kirche mehr zum Tragen kommen und die Zusammenarbeit muss gestärkt werden. Wir glauben schliesslich alle an dasselbe und haben dieselben Sorgen und Probleme.»
Das Wort «Kloster» ist im Deutschen – ähnlich wie das Wort «Kirche» – mehrdeutig. Man kann damit Gebäude aus Stein meinen oder aber die Menschen, die diese Gebäude nutzen oder bewohnen. Ein Kloster ist dort, wo sich Frauen oder Männer durch verbindliche Gelübde zu gemeinschaftlichem Leben entschieden haben. Die Gebäude spielen aber keine unwichtige Rolle. Wo die Gemeinschaften kleiner und kleiner werden, fallen die Unterhaltskosten umso mehr ins Gewicht. Es macht einen Unterschied, ob eine kleine Klostergemeinschaft eine Mietwohnung bewohnt und Mietzins bezahlt oder einen weitläufigen Gebäudekomplex zu unterhalten hat, wofür unter Umständen ein Mehrfaches von dem zu stemmen ist, was die Klostergemeinschaft für Essen, Kleidung und den Bedarf des täglichen Lebens aufzuwenden hat. Dann kann die Sorge um die Immobilien drückender werden als jene um das Klosterleben. Drei Finanzierungsquellen lassen sich unterscheiden:
Klosterprodukte
Einige Klöster bieten selbst hergestellte Klosterprodukte (Gesundheits- und Kosmetikprodukte, Devotionalien usw.) in Klosterläden zum Verkauf an. Manche Klöster vertreiben ihre Erzeugnisse sogar international. Die qualitativ hochwertigen Produkte haben ihren Preis, finden aber auch ihre Kundinnen und Kunden. Die Nachfrage nach typischen Klosterprodukten früherer Zeiten wie Hostien oder nach Paramenten (Kirchenwäsche, Messgewänder) geht hingegen zurück. Wo eine Klostergemeinschaft noch zur Selbstbewirtschaftung in der Lage ist, werfen auch Land- und Forstwirtschaft Erträge ab. Wo nicht, tragen zumindest die Pachteinnahmen zur Existenzsicherung des Klosters bei.
Berufstätigkeit
Wo Klostergemeinschaften Gäste‑, Exerzitien- oder Bildungshäuser betreiben, werden sie zu religiösen Gastgeberinnen, sofern die Räumlichkeiten dafür gegeben sind. Gewinnbringend sind Tagungshäuser jedoch für die Klostergemeinschaften in den seltensten Fällen. Effektiver können Ordensleute, sofern sie nicht durch ihre Satzungen gehindert sind, ausserhalb des Klosters durch die Übernahme von Seelsorgeaufgaben in Pfarreien oder in weltlichen Berufen zum Unterhalt der Klostergemeinschaft beitragen. Klosterangehörige versprechen materielle Anspruchslosigkeit und erhalten den Arbeitslohn nicht individuell ausbezahlt. Dieser fliesst vielmehr in die Gemeinschaftskasse ein, aus der alles Lebensnotwendige finanziert wird. Stellt die Klostergemeinschaft für Einrichtungen Dritter nur Räume zur Verfügung, ohne selbst in den Betrieb involviert zu sein, kommen die Mieteinnahmen der Existenzsicherung des Klosters zugute.
Spenden
Immer schon können Klöster auf Wohltäterinnen und Wohltäter bauen, die der Klostergemeinschaft wohlgesonnen sind und sie durch Spenden, Zustiftungen und Erbschaften materiell unterstützen. In früheren Zeiten mag der Gedanken mitgespielt haben, durch die finanzielle Unterstützung auf die Gebetskraft der Klostergemeinschaft hoffen zu dürfen. Heutzutage ist es eher die persönliche Bindung zum Ort und zur Gemeinschaft, die einen Kreis von Sympathisantinnen und Sympathisanten zu Spenden animiert.
Text: Thomas Englberger, Kanzler Bistum St. Gallen
Die 2019 erschienene Serie «The Chosen» über das Leben von Jesus von Nazareth hat Fans auf der ganzen Welt. Die Katholische Kirche der Stadt St. Gallen organisiert nun sogar Serienabende. Seelsorgerin Hildegard Aepli erklärt die Faszination, die von der Produktion ausgeht.
Ein fesselnder Vorspann, ein packender Soundtrack und eine Prise Hollywood – das ist das Rezept für fast jede erfolgreiche Fernsehserie. Die US-amerikanische Produktion «The Chosen – Gewöhn dich an Anders» kann mit diesen Attributen aufwarten. Die Serie, die auf dem Leben und Wirken von Jesus von Nazareth basiert, hat in kürzester Zeit Millionen von Menschen weltweit in den Bann gezogen. Eine davon ist Hildegard Aepli. Die Theologin und Seelsorgerin im Bistum St. Gallen ist Fan der ersten Stunde. «Die Serie ist einfach packend und sympathisch gemacht. Ich war gefesselt von Anfang an», sagt Aepli. «Mir gefällt, dass die Serie nicht bis ins Detail perfekt gemacht ist, sondern, dass man merkt, dass es das Ergebnis einer Zusammenarbeit von professionellen Schauspielerinnen und Schauspielern und Laiendarstellerinnen und ‑darstellern ist.» Hildegard Aepli hat bisher alle deutschsprachigen Episoden geschaut. Am 23. Januar hat sie im Domzentrum erstmals ein Bibeltreffen zur Serie veranstaltet. Bis und mit September finden monatlich Treffen statt (siehe Kastentext).
Kein anbiedernder Jesus
«The Chosen» ist die erste Fernsehserie, die das Leben von Jesus in mehreren Staffeln thematisiert. Sie zeigt die biblische Geschichte von Jesus Christus durch die Augen derer, die ihm begegnen, und veranschaulicht, wie sich deren eigenes Leben dadurch verändert.
Nicht nur die Handlung und die Inszenierung überzeugen Hildegard Aepli, auch die Charaktere, allen voran der Hauptcharakter, haben es der 60-Jährigen angetan. «Jesus wird nicht kitschig dargestellt oder als anbiedernde Figur, sondern als warmherziger, glaubwürdiger und authentischer Mensch. Das gefällt mir an der Serie gut.» Für Hildegard Aepli ist dies mit ein Grund für die grosse Popularität der Fernsehproduktion.
Ins Jetzt übertragen
«The Chosen» ist die einzige Fernsehserie, die Hildegard Aepli schaut. Privat hat sie keinen Fernseher. «The Chosen» aber hat von Anfang an ihre Neugierde geweckt. «Diese Serie hat mich einfach interessiert, weil ich wissen wollte, was heutzutage alles versucht wird, um die biblische Botschaft den Menschen näherzubringen.» Aepli spricht von einer stimmigen Umsetzung: «Dieser Serie gelingt es wirklich, die biblische Botschaft zeitgemäss zu vermitteln und zu zeigen, dass sie nach wie vor aktuell ist.»
Einerseits sei der biblische Text in seiner Dynamik gut erkennbar, andererseits warte die Serie durch die neu entwickelten Dialoge mit den Weggefährten auch mit unerwarteten, neuen Aspekten auf. Vor allem die Kombination von Bibeltreue und dem «darüber Nachdenken, was die Botschaft für uns heute bedeutet», überzeugt Hildegard Aepli. «Die Macher haben sich wirklich Gedanken darüber gemacht, wie sie die Geschichte in die heutige Zeit überführen. Und das ist ihnen sehr gut gelungen.» Hildegard Aepli bezeichnet sich selbst als sehr kritische Person. «Aber die Serie hat eine gute Mischung gefunden zwischen einerseits einer Öffnung und andererseits der Detailtreue.»
Sehnsucht nach Gott stillen
Die Serie ist mittlerweile auch auf Netflix und DVD verfügbar. Im November wurden einige Episoden gar im Kino gezeigt. Sämtliche Folgen sind online abrufbar. Für Hildegard Aepli eine erfreuliche Entwicklung. Es macht die biblische Geschichte für die breite Masse «greifbar». «Das Medium Fernsehen spricht heute einfach viele Menschen an und man erreicht sie darüber gut. Das Lesen der Bibel hingegen ist so anspruchsvoll, dass es kaum jemand macht.» Durch die Serie bekämen mehr Menschen Zugang zur Jesusgeschichte und zur biblischen Botschaft, sagt die Seelsorgerin. «Und irgendwie haben wir doch alle eine gewisse Sehnsucht nach Gott. Die Serie holt uns in dieser Sehnsucht ab.»
Über 600 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer weltweit
«The Chosen» ist eine US-amerikanische Fernsehserie von Regisseur und Filmemacher Dallas Jenkins. Sie ist die erste Fernsehserie mit mehreren Staffeln über das Leben von Jesus Christus. Die erste Staffel wurde 2019 veröffentlicht. Im deutschen Fernsehen war «The Chosen» erstmals im Januar 2023 auf Bibel TV zu sehen. Im Internet erfolgte die Premiere bereits 2021. «The Chosen» kann auf https://watch.thechosen.tv oder über eine App kostenfrei angesehen werden. Die Veröffentlichung der vierten Staffel ist für 2024 geplant. Die Serie trifft einen Nerv. Sie zählt über 600 Millionen Zuschauer weltweit. Die erste Staffel ist inzwischen in elf Sprachfassungen verfügbar. Für die Folgen der ersten und zweiten Staffel existieren Untertitel in 40 weiteren Sprachen. Mit elf Millionen US-Dollar war Staffel 1 das teuerste Serien- oder Filmprojekt, welches über Crowdfunding finanziert wurde.
Serienabende im Bistum
Seelsorgerin Hildegard Aepli veranstaltet im Namen der Kirche im Lebensraum St. Gallen ab Januar einmal monatlich einen Serienabend zum Thema. Dabei wird gemeinsam eine Episode angeschaut und besprochen.
Text: Alessia Pagani Bild: Ana Kontoulis Veröffentlichung: 25. Januar 2024
Fabienne Graber, Widnau: «Das Gemeinsame, das Miteinander ist wunderbar»
«Die Frauengemeinschaft war für mich der Grundstein für viele langjährige und tiefe Freundschaften. Dafür bin ich sehr dankbar», sagt Fabienne Graber. «Das Gemeinsame, das Miteinander ist wunderbar. Wir sind alle auf der gleichen Ebene. Wir alle teilen die gleichen Ängste und Sorgen, aber auch die gleichen Hoffnungen und Ziele. Das gibt einem Halt.» Fabienne Graber ist seit sechs Jahren Mitglied und seit rund einem Jahr Präsidentin der Katholischen Frauengemeinschaft (FMG) Widnau mit ihren rund 500 Mitgliedern. Sie habe lange überlegt, ob sie das Amt annehmen soll, erklärt die junge Frau. «Es ist eine grosse Aufgabe, aber der Verein gibt mir und allen Mitgliedern so viel.» Aufgewachsen ist die 35-Jährige in Montlingen. Über den Chäfertreff ist sie schliesslich auf die FMG aufmerksam geworden und hat durch den Verein schnell Anschluss zu anderen Frauen im Dorf gefunden. Diese Zugehörigkeit sollen alle Frauen spüren, so Graber: «Die Frauengemeinschaft soll für viele Frauen den Grundstein für neue Bekanntschaften mit Gleichgesinnten bilden. Bei uns sind alle Frauen willkommen und es wird ihnen zugehört.»
Gutes Fundament
In Fabienne Grabers Leben spielt der christliche Glaube eine bedeutende Rolle. «Ich bin katholisch erzogen worden und mir ist der Glaube sehr wichtig», sagt die zweifache Mutter. In der Kirche sieht man sie allerdings nicht regelmässig. Vielmehr baut sie den Glauben in den Alltag ein, etwa, wenn sie allabendlich gemeinsam mit ihrem Ehemann und den Kindern betet. Sie wollen ihnen damit ein gutes Fundament mitgeben. Fabienne Graber bittet Gott auch um Hilfe. «Wenn mein Mann, Kompaniechef bei der Feuerwehr, auf Einsatz ist, sende ich Gebetsstösse in den Himmel, dass er wieder gesund nach Hause kommen möge», so die junge Frau. «Der Glaube ist ein Teil meines Lebens und das darf er auch sein. Er gibt uns Halt, zeigt uns den Weg und spendet Trost.» Dass sich dieser Tage viele Menschen von der katholischen Kirche im Stich gelassen fühlen und sich von ihr abwenden, weiss Fabienne Graber. In der Frauengemeinschaft seien deswegen zum Glück nicht mehr Rücktritte zu beklagen. «Aber durch die Missbrauchsstudie hat das Vertrauen der Menschen natürlich stark gelitten. Missbräuche sind tragisch, egal, in welchem Umfeld sie passieren.» Fabienne Graber hofft, dass die Fälle nun differenziert und transparent aufgearbeitet werden. Ein Abwenden vom christlichen Glauben kommt für sie persönlich nicht infrage. «Jeder muss selbst entscheiden, aber ich will nicht einfach meine Ämter und meinen Glauben hinschmeissen. Die Frauengemeinschaften braucht es – jetzt vielleicht noch mehr denn je.»
Yannick Frei, Walzenhausen: «Die Kirche aktiv mitgestalten»
«Es sind diejenigen Grundwerte, die einen guten Menschen ausmachen, ob man den Glauben nun aktiv lebt oder nicht», sagt Yannick Frei. Er ist 32 Jahre alt, Ehemann, Familienvater und gelernter Projektleiter Gebäudetechnik – und er ist bekennender Katholik. «Der Glaube hat eine grosse Bedeutung in meinem Leben. Der regelmässige Besuch des Gottesdienstes ist mir sehr wichtig. Wenn ein solcher nicht möglich ist, versuche ich den Glauben mehr in den Alltag einzubauen und spreche zu Hause ein Gebet mehr», sagt Yannick Frei. Neben seiner beruflichen Tätigkeit amtet er seit Oktober 2023 als Kirchenverwaltungsratspräsident in Walzenhausen und ist in dieser Funktion Mitglied des Kreisrates der Seelsorgeeinheit über dem Bodensee. Das Amt des Kirchenverwaltungspräsidiums hat Yannick Frei von seiner Mutter übernommen. Sein Engagement für die Kirche ist für den jungen Mann eine Selbstverständlichkeit «und eine Herzensangelegenheit», wie er erklärt. Mit der Pfarrei Walzenhausen ist er ein Leben lang verbunden, hat in der Ausserrhoder Gemeinde die Taufe, die Kommunion und die Firmung erhalten und war in jungen Jahren als Ministrant tätig. «Nun habe ich die Möglichkeit, etwas zurückzugeben. Auch kann ich so die Zukunft der Kirche aktiv mitgestalten.»
Eine andere Kirche werden
Was oft wie eine Floskel tönt, ist in diesen Monaten wichtiger denn je. Die Missbrauchsstudie hat erschüttert und betroffen gemacht – auch Yannick Frei. Er spricht von einer «absoluten Katastrophe». «Missbräuche sind immer verwerflich und in keinster Weise legitim, egal, in welchem Umfeld sie passieren.» Schwierig und schade findet Yannick Frei, dass die Kirche als Institution unter den Folgen zu leiden hat, «und nicht die fehlbaren Personen allein». Jedoch ist er überzeugt, dass die Lehren aus dieser Situation gezogen worden sind und die Aufarbeitung professionell vor sich geht. In seinem Glauben hat ihn die Missbrauchsstudie nicht erschüttert. Er wird auch weiterhin die Gottesdienste besuchen und den katholischen Glauben seinen zwei Kindern mitgeben. Er sagt: «Der Missbrauchsskandal ist nicht das, für was die Kirche steht. Sie macht sehr viel Gutes – es liegt an uns Weltlichen, was wir daraus machen.» Yannick Frei ist einer der rund 2800 Unterzeichnenden der Aktion «Reformen jetzt!» der Katholischen Kirche im Lebensraum St. Gallen. Er ist überzeugt: So darf es nicht weitergehen: «Die Kirche braucht Veränderungen. Wir müssen uns alle dafür einsetzen, dass wir eine andere Kirche werden», sagt der Walzenhausener. «Eine Kirche für die Armen, eine Kirche für die Jungen, eine Kirche für uns alle.»
Gabi Corvi, Schänis: «Die Gemeinschaft ist mir sehr wichtig»
Gabi Corvi aus Schänis SG investiert unzählige Stunden in ihre Ämter der katholischen Kirche. «Die Kirche ist meine Heimat, der Glaube liegt mir sehr am Herzen», sagt die 52-jährige Journalistin. Die Liste ihrer Funktionen ist lang: Kirchenverwaltungsratspräsidentin der Katholischen Kirchgemeinde Schänis-Maseltrangen, Verbandspräsidentin des Dekanates Uznach, Personalverantwortliche der Seelsorgeeinheit Gaster, Vorstandsmitglied beim Pfarreiforum und seit Neuestem auch Mitglied des Katholischen Kollegiums. Corvi pumpt viel Herzblut in laufende Projekte und legt grossen Wert auf den persönlichen Austausch mit den Menschen an der Basis. Sie engagiert sich seit Jahren in der Kirchenverwaltung und möchte damit einen guten Rahmen für die Seelsorge schaffen.
Unerschütterlicher Optimismus
Mit ihrer Präsenz in den verschiedenen Gremien positioniert sie sich klar für die katholische Kirche. Doch die erste Zeit nach der Veröffentlichung der Missbrauchsstudien war sie wütend und enttäuscht. «Es war, als käme jemand mit dem Flammenwerfer und zerstöre alle jungen, zarten Pflänzchen, die ich mit anderen Menschen in der Kirchengemeinschaft sorgfältig gepflanzt hatte.» Sie kann gut nachvollziehen, dass sich immer mehr Menschen von der Institution Kirche abwenden. «Wenn ich könnte, würde ich das Pflichtzölibat abschaffen und die Stellung der Frauen verbessern. Priester sollen auch Beziehungen eingehen und Familien gründen können. Und eigentlich sollte das Geschlecht in der Kirche keine Rolle spielen.» Doch sie bleibt ihren Aufgaben treu und möchte die frohe Botschaft von Jesus Christus weitertragen. «Die Gemeinschaft ist mir sehr wichtig. Und wenn ich einen feierlichen, stimmungsvollen Gottesdienst besuche, verspüre ich einen regelrechten Boost. Das nährt meinen unerschütterlichen Optimismus und motiviert mich weiterzumachen», erklärt sie. Die Mutter von fünf erwachsenen Kindern kann diesen grossen Aufwand nur dank ihres flexiblen Jobs in der Medienbranche bewältigen. «Wenn gleichzeitig verschiedene Personalfragen, Bauprojekte und grosse Kirchenfeste anstehen, dann ist es manchmal schon viel», gesteht sie.
Alex Schneider, Goldach: «Es bewegt sich doch etwas»
«Jugendliche auf ihrem Glaubensweg ein Stück weit zu begleiten, hilft mir, den eigenen Horizont zu erweitern», sagt Alex Schneider und merkt mit einem Lächeln an: «Da mir persönlich Traditionen wichtig sind, ist der Austausch mit jungen Menschen und die Konfrontation mit ihren Gedanken, Träumen und Trends ein willkommener Gegenpol.» Der 59-jährige Goldacher ist als Fachspezialist für elektronische Zahlungssysteme tätig, in seiner Freizeit engagiert er sich seit vielen Jahren als Firmbegleiter. Er sei schon immer in der Kirche verwurzelt gewesen. «Da ich mich freiwillig engagiere, bekomme ich auch mit, dass sich in der Kirche sehr wohl etwas verändert», sagt er, «natürlich sind manche Reformschritte längst überfällig. Aber der Vorwurf, dass sich gar nichts tut, ist falsch. Es bewegt sich doch etwas.» In der Katholischen Kirche der Region Rorschach sorgen engagierte Seelsorgerinnen und Seelsorger und viele engagierte Freiwillige für ein aktives kirchliches Programm. «Es gibt so viele kirchliche Anlässe, bei denen Menschen zusammenkommen und sich begegnen – ohne das würde unserer Region etwas fehlen.» Anstatt zu jammern, was nicht möglich sei, setze er lieber auf Pragmatismus und darauf, alle vorhandenen Möglichkeiten auszuschöpfen: «Zum Beispiel haben bei uns heute auch nichtgeweihte Seelsorgerinnen und Seelsorger die Tauferlaubnis.»
Ein eigenes Bild machen
Seit vier Jahren vertritt Alex Schneider die Katholische Kirche in der Region Rorschach im Seelsorgerat des Bistums St. Gallen. Dieses Gremium besteht aus Vertreterinnern und Vertreter aus der Seelsorge und freiwillig Engagierten. Der Seelsorgerat hat die Aufgabe, den Bischof zu beraten und auch aufzuzeigen, «wo in den Pfarreien der Schuh drückt.» «Beim letzten Treffen im November in Quarten war ganz deutlich spürbar, wie wichtig dieses Gremium ist», hält Alex Schneider fest: «Die Pilotstudie zu den Missbräuchen im kirchlichen Umfeld nahm einen grossen Platz ein. Wir Ratsmitglieder haben Bischof Markus deutlich gemacht, dass sich jetzt etwas ändern muss. Man spürt, dass der Bischof und die Bistumsleitung ein offenes Ohr für die Anliegen der Menschen aus den Pfarreien haben. Es ist ihnen ein ernstes Anliegen, Missbräuche aufzuarbeiten und alles daran zu setzen, dass so etwas in Zukunft nicht mehr passiert. Wie mein Engagement als Firmbegleiter erweitert auch die Mitwirkung im Seelsorgerat meinen Horizont. Ich kann mir ein eigenes Bild davon machen, welche konkreten Massnahmen das Bistum schon umgesetzt hat und umzusetzen plant.»
Isabella Awad, St. Gallen: «Ich erfahre eine grosse Wertschätzung»
Die Kommunikationsfachfrau Isabella Awad wechselte im Juni 2023 zum Bistum St. Gallen – nach 27 Jahren in der Kommunikation bei Helvetia Versicherungen. In der Pfarrei St. Gallen-Rotmonten, wo sie zuhause ist, engagiert sie sich seit einigen Jahren freiwillig im Pfarreirat. «Kirche war für mich immer schon etwas, das alle Sinne anspricht», sagt sie. «In meiner Pfarrei habe ich die Pfarreibeauftragte, die anderen Mitarbeitenden und Freiwilligen als sehr engagierte, kreative und offene Menschen erlebt. Mit der Kirche verbinde ich viele schöne Erlebnisse.» Sie sei mit ihrer Stelle bei den Helvetia Versicherungen zufrieden gewesen. «Doch als ich gesehen habe, dass die Kommunikation beim Bistum ausgebaut wird, hat mich diese Arbeit sofort angesprochen», so Awad. In ihrem Umfeld habe die berufliche Neuorientierung für überraschte aber keine einzige negative Reaktion gesorgt: «Ich denke, alle haben mir angesehen, wie sehr ich mich auf die neue Aufgabe freue.»
Stark gefordert
Nur wenige Monate nach dem Start von Isabella Awad beim Bistum wurde die Pilotstudie zu den Missbräuchen im kirchlichen Umfeld veröffentlicht: «Das war eine heftige Zeit, die ich gemeinsam mit Sabine Rüthemann, der Kommunikationsbeauftragten, durchlebte. Die Berichte der Missbrauchsbetroffenen haben mich erschüttert, in manchen Momenten war ich den Tränen nah. Gleichzeitig war die Kommunikation stark gefordert.» Als Frau bei der katholischen Kirche arbeiten – sah Isabella Awad da nie ein Problem? «Als Mitarbeiterin erfahre ich von allen Seiten eine grosse Wertschätzung und Handlungsspielraum, deshalb fühle ich mich hier richtig», hält sie fest, «aber selbstverständlich verstehe ich die Rufe nach Gleichberechtigung und Reformen wie beispielweise bei Macht- und Ämterfragen. Gerade weil ich jetzt beim Bistum tätig bin, bekomme ich direkt mit, dass es den Mitarbeitenden und Verantwortlichen des Bistums St.Gallen ernst ist, notwendige Veränderungen umzusetzen.» Eines sei ihr seit dem Stellenantritt beim Bistum auch noch bewusst geworden: «Es war mir klar, dass Kirche einiges im Sozialen leistet. Doch jetzt stelle ich fest: Es ist noch viel mehr. In den Pfarreien und auch auf Ebene Bistum gibt es so viele Mitarbeitende und Freiwillige, die mit Vollgas für Menschen am Rand im Einsatz sind und das jeden Tag. Dafür müssen wir noch viel mehr öffentliches Bewusstsein schaffen.»
Texte: Alessia Pagani, Katja Hongler, Stephan Sigg
«Der katholische Glaube ist meine Kultur und meine freie Entscheidung. Glauben ist für mich eine Aktion, die von Herzen und aus tiefster Überzeugung kommt», sagt Psychotherapeutin Caterina Corea. Dem Pfarreiforum erzählt die 46-Jährige, warum sie katholisch ist und wieso sie sich – auch angesichts der Missbrauchsstudie – in der Kirche engagiert.
Caterina Corea kommt knapp vor dem Termin an das Treffen. «Ein Notfall in der Klinik», entschuldigt sie sich. Man merkt schnell: Die Entschuldigung kommt von Herzen. Caterina Corea strahlt eine Wärme und ein Wohlwollen aus, die jede Wartezeit vergessen lassen. Die 46-jährige Psychotherapeutin ist seit zehn Jahren in der Klinik Teufen Group mit Standorten in Teufen und Rorschach tätig. Es ist eine anspruchsvolle Tätigkeit und eine fordernde Zeit. Nicht selten arbeitet die gebürtige Italienerin sechs Tage die Woche. «Seit der Pandemie hat die Zahl der Patientinnen und Patienten nochmals zugenommen», sagt Caterina Corea. Physisch sucht sie den Ausgleich im Sport und in der Gesellschaft. Caterina Corea spielt gerne Golf und Tennis.
Psychisch ist es der Glaube, der Caterina Corea Halt gibt: «Er gibt mir die seelische Kraft für die ganze Woche», sagt sie. Den katholischen Glauben bezeichnet sie als ihren Polarstern im Alltag. «An ihm orientiere ich mich und richte mein Verhalten und meine Entscheidungen nach ihm aus.»
«Bewusster, reifer Glaube»
Caterina Corea hat sich bewusst für die katholische Kirche entschieden. Ihre Verbindung zum Glauben ist mit den Jahren immer stärker geworden. Aus der Tradition, als Kind mit der Grossmutter die Gottesdienste zu besuchen, sei im Laufe der Jahre «ein bewusster und reifer Glaube» geworden. «Der katholische Glaube ist meine Kultur und meine freie Entscheidung. Glauben ist für mich eine Aktion, die von Herzen und aus tiefster Überzeugung kommt.» Auch weil sie habe erfahren können, was Gott für sie bedeute: «Nämlich Liebe und Freiheit», erklärt Corea.
Heute gehören die sonntäglichen Besuche der italienischen Messe in Goldach für Caterina Corea zur Pflicht. Wenn sie einen Gottesdienst verpasst, besucht sie die Messe in Deutsch. Als Vorbild vorangehen, nennt sie das. Denn für Caterina Corea ist der Glaube nichts Abstraktes. «Wir müssen ihn leben und ihn manifestieren. Wir Katholiken sind aufgerufen, unseren Glauben weiterzugeben. Jeder von uns sollte ein Vorbild sein und den Glauben auch wirklich leben.»
Selbstständig in Italien
Caterina Corea ist vor zwölf Jahren in die Schweiz gekommen. Dass der Weg sie nach Rorschach führen sollte, war nicht geplant. Corea ist in Kalabrien im Süden Italiens aufgewachsen. Sie war selbstständig mit zwei eigenen Praxen und hat sich politisch engagiert. Mit 33 Jahren stand Caterina Corea voll im Leben. Dann sehnte sie sich nach einer Veränderung und ging auf Reisen. Eine davon führte sie zu ihrem Bruder an den Bodensee.
Don Piero Corea ist Pfarrer bei der Missione Cattolica Italiana der Katholischen Kirche Region St. Gallen-Rorschach. Caterina Corea fühlte sich sogleich wohl in der Schweiz. «Alle die Werte, für die ich einstehe und die mir wichtig sind, etwa Pünktlichkeit und Ordentlichkeit, werden hier gross geschrieben. Ich fühlte mich angekommen», sagt sie und ergänzt: «In Italien haben sie mich wegen meinem Drang zur Pünktlichkeit und Ordentlichkeit immer ‹la svizzera›, die Schweizerin, genannt.» Caterina Corea lacht – und das Lachen ist so ansteckend, dass man gerne mitlacht.
Ein Zuhause in der Ferne
Der Start in der Ferne sei kein einfacher gewesen, das Eingewöhnen ein schleichender Prozess. «Rückblickend war es streng, ich konnte die Sprache nicht und hatte keine Freunde. Ich musste von null an neu anfangen. Aber ich bin mit Überzeugung hiergeblieben. Ich habe mir ein soziales Netzwerk aufgebaut und fühle mich hier einfach wohl.» Die Missione Cattolica Italiana hat den Einstieg ins neue Leben einfacher gemacht. In der Gemeinschaft hat sie schnell neue Kontakte geknüpft. «Mit der Missione Cattolica hatte ich ein Zuhause in der Ferne. Sie hat mir die Ankunft erleichtert. Ich spürte die Wurzeln, die mich mit Italien und den Menschen dort verbindet», so Caterina Corea und ergänzt: «Die Messen waren für mich ein sicherer Ort. Ein Ort, der für alle offen war. Ein Ort, der den Fluss von Wissen und Menschen ermöglichte.»
Die Missione Cattolica Italiana der Katholischen Kirche Region St. Gallen-Rorschach ist eine lebhafte und aktive Gemeinschaft. Sie zählt gemäss Caterina Corea rund 15 000 Mitglieder und ist offen für Menschen unterschiedlicher Herkunft. So besuchen auch Portugiesen, Spanier und Schweizer regelmässig Veranstaltungen der Missione Cattolica Italiana.
Plattform für Frauen
Caterina Corea ist dankbar für das grosse Engagement. Und sie will etwas zurückgeben. Vor einigen Monaten hat die erfolgreiche Geschäftsfrau eine neue Veranstaltungsreihe für Frauen initiiert. Diese findet jeweils am ersten Dienstag und am vierten Donnerstag eines Monats statt und soll eine Plattform für Austausch bieten. «Damit soll allen Frauen und deren Sorgen, Ängsten und Freuden ein Platz gegeben werden. Es geht auch darum zu reflektieren, wie wir im Leben weiterkommen.» An der Veranstaltung werden verschiedene Themen angesprochen wie etwa die Themen Beziehungen, alte Muster oder die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Bei der ersten Durchführung waren bereits 40 Frauen anwesend. «Das hat mich total überrascht. Auch, dass die Gespräche derart reichhaltig waren. Dies braucht ein gewisses Mass an Vertrauen. Erstaunlicherweise war das von Anfang an da», sagt Caterina Corea.
Glaube wurde gestärkt
Egal, wie stressig ihr Alltag ist, Caterina Corea lebt den Glauben jeden Tag und engagiert sich gerne und mit Herzblut für die Kirche. «Wir alle haben eine Gabe von Gott erhalten und die Frage ist doch: Was können wir damit tun. Wir können nur unsere Talente und Gaben weitergeben – und unsere Zeit. Ich habe zwar nicht viel Zeit, aber diese gebe ich gerne.» Angesprochen auf die Missbrauchsstudie wird Caterina Corea nachdenklicher. Diese habe sie traurig gemacht, aber nicht erschüttert. «Wo es Menschen gibt, machen diese immer Fehler.» Klar sei, dass es nun Konsequenzen brauche. Verallgemeinern will Caterina Corea nicht, auch vermindert sich dadurch nicht ihr Wohlwollen gegenüber der Kirche. Im Gegenteil. Caterina Corea sagt: «Die Missbrauchsstudie hat mich in meinem Glauben noch gestärkt.»
In schwierigen Zeiten – und diese durchlebe sie durchaus auch – denke sie immer an das Versprechen, das Jesus an Simon Petrus macht: «Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.» (Evangelium, Matheus Kap. 16,18) «Wenn der Glaube stark genug ist, wird er nicht kapitulieren», sagt Caterina Corea. «Und ich bin überzeugt: Am Schluss ist der Glaube stärker als unsere Ängste.»
Text: Alessia Pagani Bilder: Ana Kontoulis Veröffentlichung: 23.01.2024
Als Jesus am Kreuz gestorben ist, war es Freitag. An einem Sonntag ist er auferstanden. Jeden Sonntag feiern wir in den Kirchen fröhlich und festlich die Auferstehung oder anders gesagt das Leben.
Selbst-Reflexion
Jeder Freitag ist dafür wie ein kleiner Karfreitag. Wir sind eingeladen, uns ans Leiden Jesu zu erinnern, der sich bis zum Tod für andere eingesetzt hat, und dem Ausdruck zu verleihen, indem wir fasten und speziell auf Fleisch verzichten. Wenn wir fasten, zeigen wir, dass wir bereit sind, unser Verhalten zu überdenken und gegebenenfalls zu verändern.
Pflicht oder nicht?
Bereits die ersten Christen haben gefastet. Es war im damaligen Judentum Brauch, jede Woche an zwei Tagen zu fasten. Die Christen haben diesen Brauch übernommen und Mittwoch und Freitag zu Fastentagen bestimmt. Die 40-tägige Fastenzeit wurde übrigens erst im 4. Jahrhundert üblich. Die Pflicht, freitags zu fasten, wurde in der katholischen Kirche schon länger aufgehoben. Momentan sind nur Aschermittwoch und Karfreitag verpflichtend. Die katholischen Bischöfe von England und Wales führten das Gebot, freitags auf Fleisch zu verzichten, 2011 wieder ein. In dem Jahr haben England und Wales 55 000 Tonnen CO2 eingespart. Wie viel CO2 könnten wir einsparen, wenn alle Katholiken weltweit am Freitag auf Fleisch verzichten würden?
Veggie-Day
UN-Generalsekretär António Guterres hat an der Weltklimakonferenz 2023 gesagt: «Verehrte Exzellenzen, die Alarmsirenen schrillen. Unser Planet und die Menschen auf der ganzen Welt haben uns etwas zu sagen. Der Klimaschutz steht ganz oben auf der Liste ihrer Anliegen – in allen Ländern, unabhängig von Alter oder Geschlecht. Wir müssen zuhören, wir müssen handeln, und wir müssen weise entscheiden.» Das erinnert mich an Jona, der die Stadt Ninive gewarnt hat: «Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen» (Jona 3,4). Die Menschen hörten auf Jona, sie begannen zu fasten und veränderten ihr Verhalten. Mit einem Veggie-Day pro Woche – es muss nicht unbedingt Freitag sein – können auch wir unser Einsehen zeigen und unseren Beitrag leisten.